Um Wasserstoff flächendeckend nutzen zu können, bietet sich seine Verteilung über das vorhandene Gasnetz an. Schon heute werden problemlos bis zu 20 Prozent Wasserstoff in Gasleitungen eingespeist. Doch sind auch 100 Prozent Wasserstoff im Gasnetz möglich?
Das Gasnetz in Deutschland blickt auf eine lange Geschichte zurück. In deren Verlauf wurden schon viele unterschiedliche Gase durch die Leitungen transportiert. Angefangen beim sogenannten Stadtgas des 19. Jahrhunderts, das etwa zur Hälfte aus Wasserstoff bestand, über Biomethan bis hin zum allseits bekannten fossilen Erdgas.
Heute sind bundesweit etwa 1,8 Millionen Unternehmen und fast die Hälfte aller Haushalte an das Gasnetz angeschlossen und werden so mit Erdgas versorgt. An seiner Stelle könnte in Zukunft Wasserstoff durch die Gasleitungen zu den Haushalten fließen.
Die Idee: Klimafreundlicher Wasserstoff soll in das bestehende Gasnetz eingespeist werden. So könnte Wasserstoff nicht nur fossiles Erdgas ersetzen, sondern auch unkompliziert über das vorhandene Gasnetz zu den Verbrauchern transportiert werden.
Wasserstoff und Erdgas sind zwar beides gasförmige Energieträger, trotzdem können sie nicht einfach so gegeneinander ausgetauscht werden. Denn beide Gase haben bestimmte Eigenschaften, die für ihren Transport in Gasleitungen eine Rolle spielen. Im Fachjargon spricht man von der Gasbeschaffenheit. Dazu gehören der Brennwert eines Gases, sein CO2-Gehalt, seine Dichte und Gas-Bestandteile wie Wasser, Sauerstoff oder Schwefel.
Um den technisch sicheren Transport von gasförmigen Energieträgern zu gewährleisten, wurden bestimmte Anforderungen an die Gasbeschaffenheit festgelegt. Lange galten diese Anforderungen nur für Erdgas. Denn das bestehende Gasnetz war ausschließlich für den Transport von Erdgas – und seine entsprechende Gasbeschaffenheit – ausgelegt.
Weil in Zukunft zunehmend Wasserstoff in das Gasnetz eingespeist werden soll – die Spanne liegt zwischen einer Beimischung im zweistelligen Prozentbereich bis hin zu reinen Wasserstoffnetzen mit 100 Prozent Wasserstoff – wurde in den letzten Jahren und Monaten untersucht, wie wasserstofftauglich die Gasinfrastruktur ist.
Federführend waren dabei der DVGW, der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches, und seine Forschungsinstitute. Aber auch viele Unternehmen aus der Gasbranche waren und sind bis heute an diesen Untersuchungen beteiligt.
Im Rahmen der Untersuchungen wurde Wasserstoff in verschiedenen Mengen in vorhandene Gasleitungen eingespeist und dem Erdgas beigemischt. Dann wurde untersucht, welche Auswirkungen der Wasserstoff bzw. das Wasserstoff-Erdgas-Gemisch auf die Rohrmaterialien und Anlagenteile hat.
Kommt es zu einer Materialversprödung oder bilden sich gar Risse? Bleiben die Rohre dicht und stabil, damit kein Gas entweicht? Messen Gaszähler den Verbrauch immer noch richtig?
Die Ergebnisse der Forschungs- und Testprojekte sind positiv: Egal ob aus Stahl, Kunststoff, Kupfer oder Aluminium-Legierung – die Rohrleitungen im deutschen Gasverteilnetz sind schon heute zu 96 Prozent für den Transport von Wasserstoff geeignet [1].
Wasserstoff hat eine andere chemische Zusammensetzung als Erdgas – und damit eine andere Gasbeschaffenheit.
Beispielsweise hat Wasserstoff eine geringere Dichte als Erdgas. Es ist leichter und in einem breiteren Mischungsverhältnis zündfähig. Bezogen auf das Volumen hat Wasserstoff nur einen Energiegehalt von rund 25 bis 30 Prozent der im Gasnetz üblichen Erdgasqualitäten.
Durch seine andere Gasbeschaffenheit verhält sich Wasserstoff bei möglichen Leckagen der Leitungen anders als Erdgas. Auf einige Materialien kann Wasserstoff womöglich versprödend wirken, sodass gerade an Übergängen andere Leitungswände bzw. -anschlüsse nötig sind.
Bevor eine Gasleitung von Erdgas auf Wasserstoff oder ein Wasserstoff-Erdgas-Gemisch umgestellt wird, werden deshalb umfangreiche Prüfungen durchgeführt, um die Eignung aller Komponenten sicherzustellen.
Aktuell ist eine Wasserstoffbeimischung ins Gasnetz in Höhe von bis zu 20 Prozent möglich. Wie hoch der Anteil jeweils sein kann, hängt von den Anschlussgeräten und Verdichterstationen ab und wird von Fall zu Fall entschieden. Der Grenzwert wird dazu nach dem Wobbe-Index bestimmt. Dieser errechnet sich in der Regel aus dem Brennwert und dem Verhältnis von Brenngasdichte und Luftdichte. Der Index gibt an, ob Gase gegeneinander ausgetauscht werden können: Weisen zwei Gase nicht den gleichen Wobbe-Index auf, erzeugen sie beim Gasgerät eine unterschiedliche Düsenbelastung sowie einen anderen Brennerdruck. In diesem Fall müssten die beiden Bestandteile vor der Umstellung ausgetauscht werden.
In mehreren Forschungsprojekten wurde bereits nachgewiesen, dass die Beimischung von bis zu 20 Prozent Wasserstoff ohne Nachteile und Gefährdungen für die Verbraucher vor Ort möglich ist. Weder beim Heizen oder der Warmwasserbereitung noch beim Kochen mit Gas gab es sicherheitsrelevante Auswirkungen, gerätetechnische Probleme oder Abstriche im Komfort.
Die Beimischungsquote von 20 Prozent soll nun auch in das Technische Regelwerk des DVGW für die Gasversorgung aufgenommen werden.
Und eine weitere Erhöhung des Wasserstoffanteils auf 30 Prozent ist bereits angedacht. In mehreren Forschungsprojekten werden Leitungen und Endgeräte überprüft.
In mehreren Projekten wurde bereits erfolgreich Wasserstoff ins Gasnetz eingespeist. Drei davon stellen wir hier vor:
Einem bestehenden Gasnetz in Sachsen-Anhalt wurden über zwei Heizperioden schrittweise bis zu 20 Prozent Wasserstoff beigemischt. Der ausgewählte Netzabschnitt im Jerichower Land ist repräsentativ für das gesamte Verteilnetz des örtlichen Energieversorgers, sodass die Ergebnisse auf das komplette Netz übertragen werden können.
Vor der Beimischung wurden die Gasgeräte bei den Kunden überprüft – die angeschlossenen Haushaltsgeräte mussten nicht verändert werden. Auch alle weiteren Bauteile im Netzabschnitt wurden vorab auf ihre Wasserstofftauglichkeit getestet.
Die Wasserstoff-Beimischung erfolgte in den Heizperioden 2021/22 und 2022/23 in Stufen von 10, 15 und 20 Prozent. Mit Stichprobenmessungen wurde die Einspeisung durchgehend wissenschaftlich begleitet. Es gab keine sicherheitstechnischen Auffälligkeiten und die Versorgung funktionierte einwandfrei [2].
In einem Projekt in Baden-Württemberg wurden dem Gasnetz 30 Prozent Wasserstoff beigemischt [3]. Ohne aufwendige Anpassungen der Infrastruktur konnten die ausgewählten Haushalte mit dem gemischten Gas versorgt werden. Zuvor wurden natürlich sowohl die Leitungen als auch die Anschlussgeräte überprüft. Auch dieses Projekt verlief erfolgreich.
In der Stadt Öhringen wurde ein Gebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gelände des Energieversorgers vom bestehenden Erdgasnetz abgekoppelt. In diesem „Inselgebiet“ wurden dem Gas dann schrittweise bis zu 30 Prozent Wasserstoff beigemischt. Zunächst wurde nur das Betriebsgelände des Netzbetreibers mit dem Gasgemisch versorgt, in einer zweiten Phase dann auch die umliegenden Haushalte.
In Bayern wurde ein Erdgasverteilnetz auf den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff umgestellt [4]. Im Markt Hohenwart werden derzeit zehn private Haushalte mit Wasserstoff versorgt. Dazu wurden die betroffenen Haushalte vom bestehenden Netz abgetrennt und im Inselbetrieb mit Wasserstoff beliefert.
Die Testphase des Projektes begann mit der Heizperiode 2023/24 und ist auf 18 Monate ausgelegt. Im Anschluss an das Projekt wird nach der Ergebnisauswertung entschieden, ob die Versorgung mit 100 Prozent Wasserstoff weiterhin möglich ist.
Im Unterschied zur Beimischung mussten für den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff die Haushaltsgeräte ersetzt werden. Aufgrund der unterschiedlichen Gasbeschaffenheit sind die bisher genutzten Erdgasgeräte für den Einsatz nicht geeignet. Weitere Komponenten wie Zähler, Gasdruckregelgeräte etc. wurden ebenfalls auf ihre Wasserstofftauglichkeit hin geprüft und bei Bedarf ausgetauscht.
Die drei Beispiele zeigen, dass eine Einspeisung von Wasserstoff ins bestehende Gasnetz ohne große Umbaumaßnahmen möglich ist. Von der geänderten Versorgung bemerken die Endverbraucher in der Regel nichts.
Die Gasversorgung in Deutschland zählt zu den sichersten weltweit. Auf dem gesamten Weg des Gases von der Quelle bis zum Verbraucher gelten strenge Regeln.
Verantwortlich für die technische Sicherheit der Gasversorgung ist der DVGW, der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches. In seinem Regelwerk formuliert er die Anforderungen und Sicherheitsstandards für die leitungsgebundene Versorgung mit Erdgas und Wasserstoff.
Das DVGW-Regelwerk ist fest im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verankert. 2021 wurde auch die Versorgung der Allgemeinheit mit Wasserstoff in das deutsche Energierecht aufgenommen. Gleichzeitig wurde der DVGW als Regelsetzer für die technische Sicherheit von Energieanlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Wasserstoff benannt.
Die Technischen Regeln werden von Expertengremien im DVGW erarbeitet und basieren auf gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrungen der betrieblichen Praxis. Diese werden laufend unter Berücksichtigung neuester technischer oder wissenschaftlicher Erkenntnisse aktualisiert. So wird stets der aktuelle Stand der Technik abgebildet und ein Höchstmaß an Sicherheit in der Gasversorgung – sei es Erdgas oder Wasserstoff – gewährleistet.
Damit für die Umstellung des Gasnetzes vollständige Handlungs- und Rechtssicherheit besteht, hat der DVGW sein Regelwerk für den Einsatz von bis zu 100 Prozent Wasserstoff angepasst und ergänzt es aktuell um noch wenige weitere Standards.
Vorhandene Gasnetze nutzen oder ein neues Wasserstoffnetz bauen? An dieser Frage entscheiden sich die Kosten für die Wasserstoffbeimischung. Und sie ist einfach zu beantworten: Die Umrüstung bestehender Leitungen ist kostengünstiger als der Bau neuer Wasserstoffnetze.
Auf rund 30 Milliarden Euro beziffert der DVGW die Kosten für die Umrüstung des bestehenden, über 550.000 Kilometer langen deutschen Gasleitungsnetzes [5] – ein Bruchteil dessen, was der Neubau einer ähnlichen Wasserstoffinfrastruktur kosten würde.
Hinzu kommen die Kosten für die Produktion von Wasserstoff. Insbesondere bei der Einspeisung von grünem Wasserstoff ist zunächst mit höheren Kosten zu rechnen, denn grüner Wasserstoff kann aktuell noch nicht so günstig produziert werden. Mit dem Ausbau der Infrastrukturen und der Produktion von größeren Mengen wird sich der Preis jedoch stabilisieren und laut einer DVGW-Studie langfristig sogar den aktuellen Erdgaspreis von 12 Cent pro Kilowattstunde (Ct/kWh) erreichen [6].
Während die Rohrleitungen bereits fast vollständig H2-ready sind, müssen Speicher, Anlagen oder einzelne Komponenten teilweise angepasst oder ausgetauscht werden – dies funktioniert jedoch ohne großen Aufwand oder städtebauliche Maßnahmen. Im Gegensatz zu den Rohrleitungen sind die gastechnischen Anlagen nämlich oberirdisch zugänglich. Das ermöglicht eine schnellere, günstigere und mit weniger Planungsaufwand verbundene Umrüstung.
Mit bis zu 10 Prozent Wasserstoff können Gasspeicher und Verdichterstationen sicher betrieben werden. Eine darüber hinausgehende Wasserstoffeinspeisung erfordert jedoch eine Prüfung und ggf. Anpassung der einzelnen Komponenten. Außerdem müssen viele der aktuell eingesetzten Messanlagen ersetzt werden, damit sie Wasserstoff mit der gleichen Genauigkeit erfassen können wie Erdgas. Auch die Anschlussgeräte in Haushalten sind oftmals ältere Modelle, die noch nicht H2-ready sind und daher ausgetauscht werden müssen.
Um den heimisch produzierten, importierten oder gespeicherten Wasserstoff zu transportieren, wird ein Rohrleitungsnetz benötigt, das zu 100 Prozent H2-ready ist.
Im Juli 2023 haben die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber deshalb ein Modellierungsergebnis für ein überregionales Wasserstoffnetz vorgestellt. Dieses soll bis 2032 schrittweise aus umgestellten und neu gebauten Gasleitungen entstehen und als Startpunkt für den Wasserstoffhochlauf dienen. Das sogenannte Wasserstoff-Kernnetz ist Teil der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.
Zusätzlich soll ein reines Wasserstoffnetz auf europäischer Ebene entstehen: der H2-Backbone. Dieser wird zu 75 Prozent aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen.
Damit die Rohre mit Wasserstoff gefüllt werden, muss jetzt der Hochlauf der Produktion und der Importe erfolgen. Zeitgleich müssen Hersteller und Anwender die genutzte Technik H2-ready machen. Der Großteil der Unternehmen und Haushalte in Deutschland könnte so über den vorhandenen Gasanschluss mit klimaschonender Energie versorgt werden.
Dieser Beitrag wurde von einem Redaktionsteam der wvgw mbH erstellt. Zum Team gehören Redakteurinnen und Redakteure der Fachzeitschrift „DVGW energie | wasser-praxis“ und Mitarbeiter*innen aus dem Bereich digitaler Content bei der wvgw mbH.
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