Um die Klimaziele in Deutschland bis 2045 zu erreichen, soll die Gasinfrastruktur zukünftig überwiegend für Wasserstoff genutzt werden. Für die Gasversorgung steht dabei der Begriff „H2-ready“ im Mittelpunkt. Doch was steckt hinter diesem Begriff, und welche Anforderungen müssen erfüllt sein, damit Gasnetze und -anwendungen wasserstofftauglich werden?
„H2-ready“ beschreibt die Möglichkeit, Gasinfrastrukturen und -anwendungen für den Betrieb mit Wasserstoff zu nutzen. Das bedeutet entweder, dass bestehende Systeme technisch für die Umstellung geeignet sind, oder dass sie so modifiziert werden können, dass sie vollständig oder teilweise wasserstofftauglich sind.
Der Begriff kann auch spezifizieren, wie viel Wasserstoff ein System aufnehmen kann, etwa „H2-ready für 20 Vol.-%“. Entscheidend ist, dass neben der technischen Sicherheit auch rechtliche und organisatorische Aspekte berücksichtigt werden.
In der DVGW-Information Gas Nr. 29 wird ein Modell vorgestellt, in dem der Begriff „H2-ready“ in verschiedene Ebenen unterteilt wird. Jede Ebene stellt spezifische Anforderungen dar, die für Gasinfrastrukturen und -anwendungen erfüllt sein müssen, um als H2-ready zu gelten. Dabei geht es nicht nur um technische Anpassungen, sondern auch um organisatorische Maßnahmen und die Qualifikation der beteiligten Personen und Unternehmen.
Die Unterteilung ermöglicht eine klare Bewertung der einzelnen Aspekte – von der Materialauswahl bis hin zu betrieblichen Abläufen. Nur wenn alle diese Anforderungen erfüllt sind, kann die Infrastruktur sicher und effizient mit Wasserstoff betrieben werden. Die Basis für diese ganzheitliche Bewertung bilden die Vorgaben des DVGW-Regelwerkes und der dazugehörigen Normen.
Damit ein Gasnetz wasserstofffähig wird, muss jedes Bauteil auf seine Wasserstofftauglichkeit geprüft werden. Doch das allein reicht noch nicht: Für eine erfolgreiche Umstellung auf Wasserstoff muss die gesamte Gasinfrastruktur als Gesamtsystem betrachtet werden, von großen Gastransportleitungen bis hin zu Hausanschlüssen.
Netzbetreiber müssen genau wissen, welche Ein- und Ausspeisepunkte betroffen sind und wie sich die Umstellung auf angeschlossene Verbraucher auswirkt. Anlagen, die nicht wasserstofffähig sind, müssen entweder angepasst oder vom Netz getrennt werden.
Rohrleitungen und Anlagen gelten als H2-ready, wenn sie stabil, dicht und zuverlässig funktionieren und die Anforderungen an Betrieb und Wartung über die gesamte Lebensdauer erfüllt. Zusätzlich müssen alle notwendigen Prüfbescheinigungen für den jeweiligen Wasserstoffgehalt vorliegen.
Ein zentrales Element bei der Umstellung auf Wasserstoff ist die technische Sicherheit. Wie bei Erdgas müssen Betreiber sicherstellen, dass alle Vorgaben hinsichtlich Explosionsschutz und Betriebssicherheit eingehalten werden. Eichpflichtige Gasmessanlagen und die darin enthaltenden Messsysteme müssen den Vorgaben des Mess- und Eichgesetzes entsprechen. Prüfungen zur Wasserstofftauglichkeit führen speziell geschulte Fachleute durch, die die Ergebnisse in entsprechenden Bescheinigungen dokumentieren.
Neben der technischen Sicherheit müssen auch Umweltaspekte, wie beispielsweise Geräuschemissionen, berücksichtigt werden, um einen sicheren und nachhaltigen Betrieb zu gewährleisten.
Bauteile und Geräte sind H2-ready, wenn sie so ausgewählt, gebaut und eingebaut sind, dass sie stabil, dicht und zuverlässig funktionieren. Dabei müssen sie während ihrer gesamten Lebensdauer nach den Vorgaben der Hersteller und den aktuellen DVGW-Regeln gewartet werden. Außerdem muss nachgewiesen sein, dass sie den gesetzlichen Anforderungen für den jeweiligen Wasserstoffanteil entsprechen.
Auch Gasmessgeräte, Verdichter oder Druckregelanlagen benötigen Anpassungen. Viele der bestehenden Komponenten sind ursprünglich für Erdgas ausgelegt und können Wasserstoff nur verarbeiten, wenn dies bei ihrer Herstellung bereits berücksichtigt wurde. Liegen keine entsprechenden Nachweise vor, müssen Betreiber den Zustand der Systeme überprüfen und gegebenenfalls umbauen oder austauschen.
Materialien und die daraus gefertigten Bauteile wie Rohre und Formteile gelten als H2-ready, wenn sie so ausgewählt, hergestellt, genutzt und gewartet werden, dass sie über ihre gesamte Lebensdauer dicht und stabil bleiben.
Materialien wie Stahl oder Kunststoff, die häufig in Leitungen und Anlagen verwendet werden, reagieren unterschiedlich auf Wasserstoff. Stahl kann beispielsweise durch Wasserstoff verspröden, was die Materialfestigkeit beeinträchtigen kann.
Das DVGW-Forschungsprojekt „H2-Tauglichkeit von Stählen“ hat jedoch gezeigt, dass viele der eingesetzten Werkstoffe unter typischen Betriebsbedingungen geeignet sind. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden in das DVGW-Regelwerk übernommen, das die technischen Standards für Gasinfrastrukturen definiert.
Neben den technischen Anforderungen gibt es auf Unternehmensebene auch rechtliche und organisatorische Aufgaben. Netzbetreiber müssen neue Genehmigungen beantragen, Verträge anpassen und die Verfügbarkeit von (grünem) Wasserstoff sicherstellen. Auch der Arbeits- und Umweltschutz spielt eine Rolle. Mitarbeiter und externe Kräfte wie Feuerwehrleute müssen für den Umgang mit Wasserstoff geschult werden. Zudem müssen Betriebsabläufe und Instandhaltungsstrategien angepasst werden.
Die rechtlichen Grundlagen für die Integration von Wasserstoffnetzen wurden in Deutschland 2021 mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) geschaffen. Seitdem gelten Wasserstoffnetze als eigenständige Infrastruktur, die unabhängig von den bestehenden Gasnetzen reguliert wird. Dies ermöglicht eine gezielte Planung und fördert den Ausbau eines flächendeckenden Wasserstoffnetzes.
Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) unterstützt die Transformation hin zu Wasserstoff durch Forschung und klare technische Standards. Mit Leitfäden wie dem DVGW-Merkblatt G 221 oder der verifHy-Datenbank bietet der Verein praktische Hilfen, um die H2-Readiness von Materialien und Systemen zu bewerten. Für Netzbetreiber gibt es zudem Transformationspläne, die den schrittweisen Umbau der Gasnetze begleiten.
Ein Beispiel für diese Planung ist die Initiative „H2vorOrt“, die Netzbetreiber bei der Erstellung von Umstellungsstrategien unterstützt. Ziel ist es, lokale Netze für Wasserstoff vorzubereiten, ohne den laufenden Betrieb zu stören. Fernleitungsnetzbetreiber arbeiten parallel an großflächigen Wasserstoffnetzen, um Industrie und Haushalte langfristig mit dem neuen Energieträger zu versorgen.
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Damit für die Umstellung des Gasnetzes vollständige Handlungs- und Rechtssicherheit besteht, hat der DVGW sein Regelwerk für den Einsatz von bis zu 100 Prozent Wasserstoff angepasst und ergänzt es aktuell um noch wenige weitere Standards.
Deutschland verfügt über ein weit verzweigtes Gasnetz mit mehr als 590.000 Kilometern Leitungen. Über dieses Netz werden rund 1,8 Millionen Industrie- und Gewerbetriebe und fast 9 Millionen Wohngebäude mit Gas versorgt. Die Nutzung dieser Infrastruktur für Wasserstoff bietet großes Potenzial, um die Energiewende zu beschleunigen. Für die Umstellung müssen technische, rechtliche und organisatorische Voraussetzungen erfüllt werden, gleichzeitig bietet sie die Chance, bestehende Gasnetze nachhaltig zu nutzen und langfristig klimaneutral zu machen.
„H2-ready“ ist in diesem Zusammenhang mehr als ein technischer Begriff. Es beschreibt eine ganzheitliche Vorbereitung auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft, der nicht nur Klimaziele unterstützt, sondern auch die bestehende Gasinfrastruktur sinnvoll integriert.
Andreas Schrader ist Teamleiter für Gasinfrastruktur in der Einheit Gastechnologien und Energiesysteme beim Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) e. V. In dieser Funktion befasst er sich intensiv mit sicherheitstechnischen Aspekten und aktuellen Forschungsergebnissen im Bereich Wasserstoff.
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